Rostock Geschichtsvergessen

„Duell der Feuerwerker“ ist das Motto der Pyro Games 2017 in Rostock, die am 26. August auf dem Gelände des IGA Parks im Stadtteil Schmarl veranstaltet werden sollen. Allerdings findet im nahe gelegenen Stadtteil Lichtenhagen am selben Tag die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt Rostock zu dem rassistischen Pogrom von 1992 statt. Die Terminwahl der Pyro Games könnte man daher im besten Falle als unglücklich bezeichnen. Man könnte erwarten, dass die Stadtvertreter*innen aus den rassistischen Mobilisierungen der Vergangenheit und auch der Gegenwart, man denke beispielsweise an die Vorfälle um das Begegnungszentrum für unbegleitete, minderjährige Geflüchtete in Groß Klein im letzten Jahr, ihre Lehren gezogen haben. Doch das scheint leider eine unbegründete Hoffnung zu sein. Denn ansonsten sollte ein Bewusstsein dafür vorhanden sein, was für eine Pietätlosigkeit eine pyrotechnische Veranstaltung parallel zu dem Gedenken an Rostock Lichtenhagen darstellt. So waren doch das in Brand setzen und das Stürmen des Wohnhauses vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen trauriger Höhepunkt des Pogroms. Dabei wurde der Tod der Bewohner*innen billigend in Kauf genommen, während die meisten Anwohner*innen nichts Besseres zu tun hatten als dem Mob zu applaudieren oder selbst an vorderster Reihe mitzuwirken.

Wenn man es mit dem Gedenken an das rassistische Pogrom ernst meint und es nicht nur zur Prestigepflege des Tourismusstandorts Rostock betreibt, dann ist eine Verschiebung der Pyro Games die einzige logische Konsequenz. Doch das scheinen weder die Stadtvertretung, welche ein erhebliches Mitspracherecht an Veranstaltungen auf dem städtischen IGA-Gelände hat, die IGA Rostock 2003 GmbH, noch die Veranstaltungsfirma der Pyro Games 2017, A & O Pyro Games GmbH, ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Als Antifaschist*innen dieser Stadt halten wir diese Situation für nicht hinnehmbar. Eine Pyroshow in örtlicher und zeitlicher Nähe zu dem offiziellen Gedenken an das Pogrom ist respektlos gegenüber den Menschen, die im August 1992 um ihr Leben fürchten mussten, und ein Schlag unter die Gürtellinie für all jene, die an einem ernsthaften Gedenken und Mahnen interessiert sind. Das Verhalten von Stadt, IGA und Pyro Games ist symptomatisch für den rassistischen Gesamtzustand vor Ort und die fehlende Sensibilität für die Geschichte des Pogroms von Rostock Lichtenhagen.

Kein Ende in Sicht: Rassismus und der NSU-Komplex

Bundesweite Aktionen zur Urteilsverkündung im NSU-Prozess

Voraussichtlich im September 2017 wird der NSU-Prozess gegen fünf Angeklagte zu Ende gehen. Deshalb mobilisiert das „Bündnis gegen Naziterror und Rassismus“ unter dem Motto „Kein Schlussstrich“ zum Tag X, der Urteilsverkündigung, nach München. Dessen Forderungen unterstützen wir: Aufklärung des NSU-Komplex, institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus angreifen und rassistischem Terror entgegentreten, Auflösung des Verfassungsschutzes.
Ähnliche Forderungen wurden bereits beim NSU-Tribunal in Köln Mitte Mai erhoben. Hier wurde auch darauf hingewiesen, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft und damit auch die Linke, erst mit der Selbstenttarnung des NSU 2011 auf das Thema aufmerksam geworden ist. Und das trotz zweier Demonstrationen, die bereits fünf Jahre zuvor unter dem Motto „Kein zehntes Opfer“, in Kassel und Dortmund von den Angehörigen der Ermordeten organisiert worden waren. Diese thematisierten die Mordserie an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und wiesen auf einen möglichen neonazistischen Hintergrund hin. Die Demonstrationen wurden nicht wahrgenommen, ein Jahr später wurde Michèle Kiesewetter ermordet. Wir rufen euch ebenfalls dazu auf, am Tag der geplanten Urteilsverkündung nach München zu fahren.

Es ist damit zu rechnen, dass die Hauptangeklagte viele Jahre ins Gefängnis geht, damit können und werden wir uns aber nicht zufriedengeben. Fakt ist, dass im NSU-Komplex bei weitem noch nicht alles aufgeklärt ist. Dabei geht es um den großen Kreis von Unterstützer*innen, der bei den Morden direkt oder indirekt geholfen haben muss. Weiterhin geht es um die Rolle der Behörden, die im Prozess nahezu systematisch ausgeklammert wurde, und deren Unterstützung beim Aufbau von Neonazistrukturen und ihre rassistischen Ermittlungspraxen gegen die Familien der Ermordeten und die Betroffenen der Anschläge. Statt Konsequenzen für die Ermittlungsbehörden zu ziehen, stattet man den Verfassungsschutz jetzt sogar noch mit erweiterten Befugnissen und einem größeren Etat aus.

Nicht zuletzt geht es um den gesamtgesellschaftlichen Rassismus, der eine der tragenden Säulen des NSU-Komplex ist. Dieser setzt sich nicht erst seit den 90er Jahren ungebrochen fort und äußert sich in diskriminierenden Alltag von als „nicht-deutsch“ gelesenen Menschen und gipfelt auch heute wieder in der Gründung von völkischen Terrorgruppen wie u.a. der Gruppe Freital, Aktionsbüro Mittelrhein, OSS, Freie Kameradschaft Dresden und die Gruppe um Franco A.
Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den NSU sind somit nicht aus der Welt geschafft, vielmehr zeigt sich eine deutsche Kontinuität. Entsprechend gestaltet sich die vermeintliche Auseinandersetzung wie die am Nationalsozialimus erprobte Vergangenheitsbewältigung: es wird sich für die gelungene Aufarbeitung gefeiert, mit Verweis auf die Verurteilten die Mehrheitsgesellschaft rehabilitiert, der Rest wird unter den Teppich gekehrt.

Grund genug um zur Urteilsverkündung vor dem Oberlandesgericht in München auf die Straße zu gehen! Wenn ihr es nicht nach München schafft, wir organisieren auch Aktionen an anderen Orten. Weitere Infos folgen!